Der Geist von Freiheit und Demokratie (pathetischer Trommelwirbel)
Unser Arbeitsalltag unterscheidet sich in Anqing wieder einmal gewaltig von den anderen Städten. Wie angekündigt sollten Steffi und ich jeweils Montags und Dienstags Workshoptage haben. Allerdings wurde uns nicht gesagt, dass wir an beiden Tagen vor- und nachmittags andere Klassen zugeteilt haben. Teilweise jedoch auch dieselben Schüler mehrfach gemixt mit Neulingen. Das erschwerte es Mihr besonders, geeignete Didaktik anzuwenden und den richtigen Lehrstoff zu finden.
Ich entschloss mich dazu wieder theaterpädagogische Übungen wie an der Anhui Universität anzuwenden und diese langsam auf den Musikbereich zu übertragen.
Wenn später einige Schüler bereits einige der Spiele kannten, bat ich die Erfahrenen die Neulinge zu instruieren und ihnen Tipps zur Aufgabenstellung zu geben.
Als wir am Mittwoch schließlich wieder in die Uni kamen und eigentlich erwarteten, den Unterricht zu hospitieren, waren wir überrascht. Die Workshops wurden ohne unser Wissen auf den Rest der Woche verlängert. Nach dem Motto: hier sind neue Schüler, also macht mal!
Da jedoch wieder bekannte Schüler dabei waren, war es unmöglich einfach die selben Übungen von vorne zu beginnen. Ich entschloss mich dazu Raumaufstellungsspiele in der Aula zu spielen. Dabei stellt man der Gruppe bestimmte Fragen nach deren Beantwortung sich die Teilnehmer individuell aufstellen müssen. Zum Beispiel bittet man die Jungs und Mädchen sich an gegenüberliegende Seiten des Raumes zu stellen, oder man befielt, eine Linie mit aufsteigender Körpergröße, Alter oder Haarlänge zu erschaffen. Da die Chinesen Spiele dieser Art nicht gewöhnt sind, stellen sich gerade die ersten Runden als ziemlich zäh heraus. Schüler bleiben einfach sitzen, tun so, als würden sie Fragen nicht verstehen oder hinterfragen den Sinn des Spiels (den vielleicht auch viele Leser dieses Textes hinterfragen). Zweck der Übung ist zunächst einmal die Chinesen an Interaktive Arbeitsmethoden zu gewöhnen. Im nächsten Schritt allerdings werden die Fragen immer interessanter und privater. Zum Beispiel bittet man die Schüler sich aufzustellen, ob sie Musik mögen und dann ob sie es eher traditionell oder modern lieben. Interessant wird es dann, wenn man zum Beispiel fragt, ob man mit seinem Studium oder Leben zufrieden ist, oder ob man seine eigene Zukunft positiv bewertet. Schließlich moderiert man einige Leute von den unterschiedlichen Antwortsgruppen, damit man die unterschiedlichen Meinungen einholen kann.
Irgendwann kam der Punkt, wo die Fragen so souverän und schnell beantwortet wurden, dass ich mich aus der Rolle des Instrukteurs schleichen wollte, um jetzt den Chinesen die Chance zu geben, sich gegenseitig Fragen zu stellen, während ich mich selbst als Teilnehmer den Anweisungen beuge. Ich bat sie jedoch, nicht zu persönliche Fragen zu stellen, zum Beispiel, wer alles eine Freundin hat oder nicht hat, oder wer schwul ist, oder solche Sachen, die einzelne Personen bei den anderen in einem ungünstigen Licht erscheinen lassen könnten.
Hier jedoch eine Liste der interessanten Fragen und ihrer Reaktionen:
- wer von euch gehört einer Minderheit an: die Frage wollte ich fast unterbinden, da ich nicht weiß, wie unangenehm das für die Betroffenen (nur 2 von ca. 50 Leuten) sein könnte. Allerdings hatten die beiden tatsächlich kein Problem damit und bekamen schließlich auch Fragen interessiert.
- wenn ihr euch entscheiden müsstet, bei einem Unfall eure/euer Freund/in oder Mutter zu retten, wer wäre das?: Bis auf Steffi, ein einzelnes Mädchen und mich waren alle dafür lieber ihre Mutter zu retten. Einer von der großen Gruppe erklärte, dass er sich bedanken würde, dass sie ihm Leben geschenkt hatte, wodurch der Rest der Gruppe applaudierte. Als man mich dann neugierig fragte, warum bei Mihr meine Mutter das nachsehen hätte, meinte ich, dass mich meine Mutter auch sehr liebt und sie daher vielleicht lieber wollen würde, dass ich mit meiner Freundin glücklich würde, als selbst gerettet zu werden. Erstaunlicherweise gab es auch dafür von allen Applaus.
- was ist euch wichtiger: Frieden oder Freiheit?: Fast die Hälfte der Befragten fand es wichtiger in Freiheit zu leben. Bei einer genaueren Befragung, ob die jeweiligen auch das Gefühl haben, in diesem Moment in Freiheit zu leben, gab es sogar ein paar, die sich eingeengt fühlten. Allerdings nicht wie ich als braver Westmensch zunächst vermutete von der Regierung oder sogar der Familie: nein, sie fühlen sich vom Bildungssystem eingeengt.
- würdet ihr lieber blind oder taub sein?: Obwohl fast alle der Anwesenden Musikstudenten waren, zogen es die meisten vor, taub zu sein
- wer von euch trägt eine Brille, wer braucht keine Brille und wer bräuchte eine Brille, trägt aber aus kosmetischen Gründen keine: überasschenderweise "stellten" sich gar nicht einmal so wenige und gesellten sich zu der dritten Antwortmöglichkeit
Toll war auch, dass einer der jungen Lehrer an den Spielen teilnahm, was die Schüler freute um manchmal seine Meinung zu bestimmten Themen zu erfahren. Im anschließenden Feedback meinte dieser, dass das Spiel großartig sei, um Meinungsbildung zu fördern.
Im Allgemeinen habe ich drei Schritte für diese Arbeitsmethode ausgemacht: im ersten müssen sich die Teilnehmer Gedanken machen, was sie wirklich wollen. Im zweiten müssen sie diese Gedanken festigen, sich entscheiden und der Außenwelt preisgeben (dabei muss natürlich darauf geachtet werden, dass keine der Fragen zu unangenehm wird). Und im dritten Punkt steht schließlich die Diskussion, bei der sich die unterschiedlichen Standpunkte gegenseitig anhören, um von einander zu lernen.
Ich entschloss mich dazu wieder theaterpädagogische Übungen wie an der Anhui Universität anzuwenden und diese langsam auf den Musikbereich zu übertragen.
Wenn später einige Schüler bereits einige der Spiele kannten, bat ich die Erfahrenen die Neulinge zu instruieren und ihnen Tipps zur Aufgabenstellung zu geben.
Als wir am Mittwoch schließlich wieder in die Uni kamen und eigentlich erwarteten, den Unterricht zu hospitieren, waren wir überrascht. Die Workshops wurden ohne unser Wissen auf den Rest der Woche verlängert. Nach dem Motto: hier sind neue Schüler, also macht mal!
Da jedoch wieder bekannte Schüler dabei waren, war es unmöglich einfach die selben Übungen von vorne zu beginnen. Ich entschloss mich dazu Raumaufstellungsspiele in der Aula zu spielen. Dabei stellt man der Gruppe bestimmte Fragen nach deren Beantwortung sich die Teilnehmer individuell aufstellen müssen. Zum Beispiel bittet man die Jungs und Mädchen sich an gegenüberliegende Seiten des Raumes zu stellen, oder man befielt, eine Linie mit aufsteigender Körpergröße, Alter oder Haarlänge zu erschaffen. Da die Chinesen Spiele dieser Art nicht gewöhnt sind, stellen sich gerade die ersten Runden als ziemlich zäh heraus. Schüler bleiben einfach sitzen, tun so, als würden sie Fragen nicht verstehen oder hinterfragen den Sinn des Spiels (den vielleicht auch viele Leser dieses Textes hinterfragen). Zweck der Übung ist zunächst einmal die Chinesen an Interaktive Arbeitsmethoden zu gewöhnen. Im nächsten Schritt allerdings werden die Fragen immer interessanter und privater. Zum Beispiel bittet man die Schüler sich aufzustellen, ob sie Musik mögen und dann ob sie es eher traditionell oder modern lieben. Interessant wird es dann, wenn man zum Beispiel fragt, ob man mit seinem Studium oder Leben zufrieden ist, oder ob man seine eigene Zukunft positiv bewertet. Schließlich moderiert man einige Leute von den unterschiedlichen Antwortsgruppen, damit man die unterschiedlichen Meinungen einholen kann.
Irgendwann kam der Punkt, wo die Fragen so souverän und schnell beantwortet wurden, dass ich mich aus der Rolle des Instrukteurs schleichen wollte, um jetzt den Chinesen die Chance zu geben, sich gegenseitig Fragen zu stellen, während ich mich selbst als Teilnehmer den Anweisungen beuge. Ich bat sie jedoch, nicht zu persönliche Fragen zu stellen, zum Beispiel, wer alles eine Freundin hat oder nicht hat, oder wer schwul ist, oder solche Sachen, die einzelne Personen bei den anderen in einem ungünstigen Licht erscheinen lassen könnten.
Hier jedoch eine Liste der interessanten Fragen und ihrer Reaktionen:
- wer von euch gehört einer Minderheit an: die Frage wollte ich fast unterbinden, da ich nicht weiß, wie unangenehm das für die Betroffenen (nur 2 von ca. 50 Leuten) sein könnte. Allerdings hatten die beiden tatsächlich kein Problem damit und bekamen schließlich auch Fragen interessiert.
- wenn ihr euch entscheiden müsstet, bei einem Unfall eure/euer Freund/in oder Mutter zu retten, wer wäre das?: Bis auf Steffi, ein einzelnes Mädchen und mich waren alle dafür lieber ihre Mutter zu retten. Einer von der großen Gruppe erklärte, dass er sich bedanken würde, dass sie ihm Leben geschenkt hatte, wodurch der Rest der Gruppe applaudierte. Als man mich dann neugierig fragte, warum bei Mihr meine Mutter das nachsehen hätte, meinte ich, dass mich meine Mutter auch sehr liebt und sie daher vielleicht lieber wollen würde, dass ich mit meiner Freundin glücklich würde, als selbst gerettet zu werden. Erstaunlicherweise gab es auch dafür von allen Applaus.
- was ist euch wichtiger: Frieden oder Freiheit?: Fast die Hälfte der Befragten fand es wichtiger in Freiheit zu leben. Bei einer genaueren Befragung, ob die jeweiligen auch das Gefühl haben, in diesem Moment in Freiheit zu leben, gab es sogar ein paar, die sich eingeengt fühlten. Allerdings nicht wie ich als braver Westmensch zunächst vermutete von der Regierung oder sogar der Familie: nein, sie fühlen sich vom Bildungssystem eingeengt.
- würdet ihr lieber blind oder taub sein?: Obwohl fast alle der Anwesenden Musikstudenten waren, zogen es die meisten vor, taub zu sein
- wer von euch trägt eine Brille, wer braucht keine Brille und wer bräuchte eine Brille, trägt aber aus kosmetischen Gründen keine: überasschenderweise "stellten" sich gar nicht einmal so wenige und gesellten sich zu der dritten Antwortmöglichkeit
Toll war auch, dass einer der jungen Lehrer an den Spielen teilnahm, was die Schüler freute um manchmal seine Meinung zu bestimmten Themen zu erfahren. Im anschließenden Feedback meinte dieser, dass das Spiel großartig sei, um Meinungsbildung zu fördern.
Im Allgemeinen habe ich drei Schritte für diese Arbeitsmethode ausgemacht: im ersten müssen sich die Teilnehmer Gedanken machen, was sie wirklich wollen. Im zweiten müssen sie diese Gedanken festigen, sich entscheiden und der Außenwelt preisgeben (dabei muss natürlich darauf geachtet werden, dass keine der Fragen zu unangenehm wird). Und im dritten Punkt steht schließlich die Diskussion, bei der sich die unterschiedlichen Standpunkte gegenseitig anhören, um von einander zu lernen.
Itaju - 2. Apr, 23:21