Sonntag, 7. März 2010

"Bon Soir" und Winterwunderland

Nach langer Abstinenz wieder ein Post, dafür diesmal einmal der besonderen Art.

Das Französisch in diesem Titel hat zweierlei Bedeutung. Zum einen ist seit einigen Tagen unsere Unidozentin Marlène mit einer kleinen Delegation in Hefei angekommen, die Franko-Schweizerin ist. Leider hatten wir bis jetzt nur sehr wenig Zeit, uns auszutauschen, da sie und wir ganz andere Tagespläne haben.

Am Freitag hatten wir dann wieder einen kurzen Arbeitstag. Dieser begann damit, dass Steffi mit unserer schon länger ins Herz geschlossenen Klasse eine Stunde über Filme sprachen (überraschenderweise werden bei den Lieblingsfilmen mit "Titanic" und "Avatar" zuerst immer gleich zwei Camerontitel gennant, bevor es mit 2012 weitergeht und irgendwann auch chinesische Titel auftauchen), anschließend kamen wir in eine andere Klasse, mit der wir "The Sound of Music" anschauten, aber weiter nicht viel zu tun hatten, außer der gewöhnlichen Fragen, die uns immer wieder gestellt werden "what is your chinese name?", "do you like chinese food?".

Schließlich durfte ich auch wieder den Chor dirigieren, was ziemlich viel Spaß gemacht hatte (ich glaube, so etwas habe ich eigentlich noch nie gemacht, wenn ich mich richtig erinnere). Ich seh das ganze als kleine Belohnung für die Mühe, die wir mit den Ausspracheübungen hatten. Mittlerweile sitzt diese jedoch ganz hervorragend. Steffi und ich sind überrascht, wie gut das mittlerweile läuft.

Chor

Nachmittags hatte ich dann wieder Klavierunterricht gegeben (zum vierten Mal diese Woche), wo ich sagen musste, dass meine vier Schüler tatsächlich eine Menge fortschritte gemacht haben in den letzten Tagen! Also ich bin zuversichtlich, dass ich sie alle bei unserem geplanten Konzert/Kulturabend auftreten lassen kann.

Anschließend sind wir zu unserem Tagestrip nach Nanjing aufgebrochen. Zunächst mussten wir dazu mit dem Bus zum Hefeier Hauptbahnof reisen (ca. 30 Minuten im überfüllten Bus stehen, ächz), wurden dort allerdings belohnt, denn auf der Suche nach einem Abendsnack bin ich wieder Danbingfündig geworden (das sind die leckerleckerleckeren Omeletts mit Gemüsefüllung). Noch interessanter war jedoch die Begrüßung einer der Verkäuferinnen, die uns nicht mit dem "hello" (ihr müsst euch das immer mit einem ganz starken Chinesischen Akzent vorstellen) begrüßte, sondern mit "bon soir". Das war ja mal eine Freude! Endlich kein Ami zu sein, sondern Franzose (oder Franko-Schweizer, man kann ja nicht wissen)!

Der Zug war ausgesprochen komfortabel. Sogar so komfortabel, dass wir feststellen mussten, aus Versehen die erste Klasse gebucht zu haben, obwohl wir ausdrücklich die "Popular"-Klasse benutzen wollten. Nun ja. Für einen ICE erste Klasse (denn der Zug war so schnell wie ein ICE) über eine Stunde würde man in Deutschland aber auch nicht 15 Euro pro Nase hin und zurück bezahlen.

In Nanjing staunten wir sofort über die Skyline, die uns am Ausgang des Bahnhofs erwartete. Eigentlich dachten wir in Las Vegas gelandet zu sein. Unzählige Hochhäuser mit Leuchtreklame taten sich in der Ferne auf. Einen Anblick den wir bisher in keiner der uns bekannten Städte genießen konnten. Mit dem Stadtbus fuhren wir dann ins Hostel, das auch ausgesprochen originell daherkam. Es war eigentlich nur ein kleines Mietshaus, an dem in einer Art stylischem Wintergarten die Rezeption und Bar untergebracht war - herrlich gemütlich, leider hatten wir nur eine Nacht gebucht!
Auf unserem Abendspaziergang mussten wir feststellen, dass es ein wenig nieselte, aber trotzdem war die Stimmung unglaublich auf der Straße. Wir sahen die ersten Hügel in einem Stadtbild (Peking, Hefei und Xi'an sind ausgesprochen flach) und immer wieder Regenschirme, die mich alle an den Film Bladerunner erinnerten. Irgendwann entdeckten wir ein riesiges Gebäude, dessen leuchtende Spitze immer wieder in Wolken verschwand. Gespentisch schön.

Nanjing-Skyline

Auch sonst gab es an diesem Abend viel zu sehn. Vor allem Lichter. Und wir mussten auch zugeben, dass diese Stadt die bisher sauberste, grünste und auch sicherste war (die unangenehmen Begegnungen mit dreisten Autofahrer hielten sich hier im Vergleich ausgesprochen in Grenzen).

Am nächsten Tag sind wir dann zu Fuß zum Konfuziustempel aufgebrochen. Hier waren wir ein wenig ernüchtert. Zum einen sahen die Hochhäuser beim Tag nicht mehr ganz so besonders aus, zum anderen war der Konfuziustempel ziemlich klein und unspektakulär (und überall diese hässlich-kitschigen Laternen). Anschließend waren wir allerdings noch in einem recht schönen Altstadtviertel mit vielen Pagoden.

Schließlich fing es allerdings zu regnen an. Leider nicht zu wenig, was unsere Stimmung wieder trübte. Wir hatten uns doch in den Kopf gesetzt, noch ins Grüne zu fahren (es gibt im Osten der Stadt eine riesige Grünanlage mit einem Mausoleum und vielem anderen Kram). Doch das Grüne wurde weiß. Es begann tatsächlich zu schneien. Allerdings in einer unangenehmen Form. Schnee, der bereit war, jeden Augenblick zu tauen. Steffi beklagte sich zu Recht vehement um ihre wasserdurchlässigen Schuhe. Im Grünen angekommen, entschlossen wir uns gleich, wieder umzukehren und andere Sehenswürdigkeiten vorzuziehen. Man konnte ohnehin nicht sehr weit sehen und es war kalt und unwirtlich.
Nach einem kleinen Mittagessen und einer Busfahrt später fanden wir uns dann an einem kleinen Tempel auf einem Hügel wieder, der Schnee legte sich und auch die Aussicht war sehr schön.
Schließlich gingen wir noch in den angrenzenden Park, der eigentlich ein riesiger See mit mehreren durch Brücken verbundenden Inseln war.

Schneepalmen

Dort war es leider nicht sonderlich schön, da die Jahreszeit nicht gerade viel zum Blühen brachte (dabei beginnt in Nanjing die Hauptsaison am ersten März und wir mussten erhöhten Eintritt in den Park zahlen!), allerdings waren wir in einem kleinen Vogelpark und konnten in der ferne noch einmal die Skyline und den Ausblick auf einen der großen Berge genießen.

Auf dem Rückweg zum Bahnhof entdeckten wir noch ein scheinbar verlassenes Freibad, in das ich eindrang, um unbedingt ein paar Fotos zu schießen. Tatsächlich wohnten da einige Leute in zeltartigen Unterkünften. Mein lieber Schwan, ich kann Mihr angenehmere Behausungen vorstellen!

Schwimmbad

Schließlich wieder in Hefei angelangt machten wir uns auf den Weg zu der Danbing-Verkäuferin unseres Vertrauens und wurden tatsächlich wieder mit "Bon soir" begrüßt. Dann haben wir noch 4 Omeletts verputzt (ich davon drei - neuer Rekord!) und sind wohl behütet "zuhause" im Hotel angekommen.

Nanjing ist tatsächlich zu empfehlen! Bisher mein Favorit unter den Städten. Schade, dass es nur ein Tag war und das Wetter nicht ganz mitgespielt hat. Aber wer weiß, vielleicht kommen wir noch einmal her.

Ach ja, und das große Gebäude in Nanjing, stellte sich später (zuhause in der Wikipedia) als größtes (fertiggestelltes) Gebäude in China und damit siebtgrößtes Gebäude der Welt heraus.

Dinge, die die Welt doch braucht?

Es gibt so einige Dinge in China, über deren Existenz man sich in Deutschland kaum Gedanken macht, die hier aber aus diversen Gründen essentiell werden.
1. Fußabtreter. Eine banale Sache bei uns, doch hier eine Rarität. Der Staub oder die Nässe verteilt sich überall, was wiederrum mehr Arbeit für die Reinigungsfachkräfte ist und die ohnehin schon glatten Fliesen (siehe Punkt 5) auch im Innenbereich zu Rutschbahnen werden lässt.
Zusatz: Nach mehrtägigem Regen haben wir im Supermarkt mit mehreren Schichten durchweichter Pappe erste Ansätze zum Fußabstreiferprinzip gefunden.
2. Mülleimer. Ob im Park oder an der Uni, Mülleimer sind hier nicht gerade zuhauf zu finden. Stattdessen wird der Müll dann unter die Schulbänke oder einfach auf einen Haufen hinter die Tür geworfen oder man sammelt in seinen Jackentaschen Unmengen gebrauchter Taschentücher, Papierschnipsel, Verpackungen, bis man doch mal einen findet.
3. Türschlösser. Geschäfte verschließen ihre (Doppel-)Türen üblicherweise mit Stahlbügel- oder auch Fahrradschlössern (unser Hotel ist da nachts auch keine Ausnahme), in der Uni gibt es statt dem guten alten Türschloss Metallhaken mit kleinen Vorhängeschlössern. Bei uns wäre sowas doch in nullkommanix geknackt…
4. Gullys. Ich vermisse sie wirklich. Es liegt unter anderem daran, dass sich beide Paar Schuhe, die ich hier habe, als nicht wasserdicht herausstellten (naja, von einem Paar Turnschuhe hab ich auch nichts anderes erwartet). Mit dem Regen der letzten Tage gab es täglich Unmengen riesiger Pfützen auf kilometerweiter Betonwüste. Während man auf den Straßen schon Abflussrinnen hat, habe ich auf dem Campus noch keinen einzigen Gully entdecken können. Es erinnert ein bisschen an Spießrutenlaufen, wie ich dann das letzte Fleckchen trockener Socken durch Balancieren auf Beetumrandungen, hüpfen und springen zu bewahren versuche.
Die Regenrinnen führen hier auch nicht in ein unterirdisches Abwassersystem, sondern einfach auf den Boden. Die Meinung ist hier wohl, dass alles Wasser auf dem Beton früher oder später verdunstet.
5. Fliesen im Außenbereich. Vergesst die klassische Bananenschale, wir haben hier waschechte chinesische Fliesen. Sind schön, sieht man auch in Deutschland, aber glatte Fliesen im Außenbereich? Entweder tragen hier alle heimlich Spikes an den Sohlen oder ich bin ein Trampeltier, denn bei dem täglichen Regen bin ich nicht nur einmal gehörig ins Rutschen geraten. Dass ich nie hingefallen bin, ist natürlich meinem begnadeten Gleichgewichtssinn zuzuschreiben *hust*. Nein, ehrlich, ich glaube es ist pures Glück. Mein Appell: Nachdenken, dann bauen!
6. Das passt auch gut zum letzten Punkt: die Isolation. Dass einfach verglaste Fenster nicht gerade energieeffizient sind, weiß jeder, wenn dazu allerdings eine interessante Bauweise kommt, fragt man sich, ob hier überhaupt über Wärme und Kälte nachgedacht wird. Das Musik- und das Kunstdepartment beispielsweise sind beide sehr offen gehalten, die Klassenzimmer führen direkt ins Freie, was den Wind überall pfeifen und die Kälte überallhin kriechen lässt. Im Sommer wird es durch die offene Bauweise aber ja nicht kühler…

We build for China

Zwei Monate Urlaub und Praktikum im Reich der Mitte!

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